Walter Trier, Paul Schröder

und die älteste Tankstelle Berlins

Das von 1904 bis 1932 geführte Gästebuch von Paeprers Gasthaus „Zum kühlen Grund“ hält manche Überraschung für die Geschichte der Künstler in Jamlitz bereit. Dazu gehören die Einträge des vor allem als Illustrator von Erich Kästners Kinderbüchern bekannten Zeichners Walter Trier (1890–1951).

Durch die digitale Erfassung des Gästebuchs sind inzwischen auch statistische Beobachtungen möglich, und die Auswertung der angegebenen Wohnadressen macht interessante Querverbindungen sichtbar. Walter Trier und seine Beziehung zu den Jamlitzer Künstlern sind dafür ein gutes Beispiel.

"... waren sehr vergnüglich hier"

Der aus einer Prager deutsch-jüdischen Familie stammende, damals bereits sehr erfolgreiche Karikaturist und Illustrator Walter Trier reiste im Sommer 1927 zweimal für ein paar Tage aus Berlin nach Jamlitz. Beim zweiten Besuch brachte er außer Ehefrau Lene und Cockerspaniel „Mäggi“ auch Tochter Gretel mit. In Paeprers Gästebuch zeichnete er die drei in der Art, wie man sie von seinen ab 1929 entstehenden Illustrationen zu Erich Kästners Emil und die Detektive oder Pünktchen und Anton kennt, untertitelt mit „Lene, Gretel, Mäggi Trier waren sehr vergnüglich hier. Jamlitz 30.7.–7.8.1927“.

Eintrag von Walter Trier im Gästebuch von Paeprers Gasthaus „Zum kühlen Grund“, Jamlitz 1927. Hinten im Auto, mit roter Schirmmütze: Walter Trier (Privatarchiv / © The Estate of Walter Trier, Vancouver, Canada)

Auf der gegenüberliegenden Seite fährt von rechts ein Auto durchs Bild. Links signalisieren einige der typischen kegelförmigen Heuschober, dass es in den Spreewald geht. Der Untertitel flachst: „Eröffnung der neuen Rennstrecke Berlin – Jamlitz, 6. August 1927 – Grand Hotel Paeprer“. Ob der rote Sportwagen Walter Trier gehörte? Oder einem der anderen beiden Herren im Auto? Leider sind die Namen der – wohl scherzhaft – als „Fahrer“ und „Mechaniker“ Bezeichneten nicht klar zu entziffern; Trier nennt sich „Künstlerischer Beirat“.  – Wer oder was führte ihn nach Jamlitz?

Babylon, Berlin, Jamlitz

Der Name von Paul Schröder (1874–1963) kommt einem beim Stichwort „Künstler in Jamlitz“ vielleicht nicht als Erstes in den Sinn, aber dass der Berliner Architekt eine gewisse Rolle spielte, zeigt schon Paeprers Gästebuch. Darin ist er zwischen 1906 und 1917 stolze 16 Mal zu finden. Häufiger – 18 Mal – ist im selben Zeitraum nur der Name seiner Ehefrau Elisabeth (Ella) geb. Reuther verzeichnet. Meist verbrachten die Schröders Ostern, Pfingsten oder Silvester bei Paeprers.

v.l.n.r. Elisabeth Schröder geb. Reuther, eine Angestellte, Adele Adelmann geb. Reuther, Paul Schröder (© Nachlass Olga Adelmann, Musikinstrumenten-Museum im Staatlichen Institut für Musikforschung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin)

Oft waren sie dabei in Gesellschaft von Ella Schröders Schwester, der Malerin Adele (Ada) Adelmann-Reuther, mit ihrem Mann Leonid und ihren Kindern. Zwischen 1904 und 1915 steht auch sie 16 Mal im Gästebuch. Als junge Frau war sie zunächst mit der Charlottenburger Malschule von Franz Lippisch nach Jamlitz gekommen und holte dann sozusagen die Verwandtschaft nach.

Gästebuch von Paeprers Gasthaus, links 1909, Nr. 4: Dipl. Ing. Oscar Reuther „aus Babylon“, Nr. 5: seine Schwester, die Malerin und Lippisch-Schülerin Adele Reuther. Auf der Doppelseite finden sich viele weitere Einträge von Schülern und Schülerinnen der Malschule Lippisch
(u. a. Irene Goeschen, Willy Grunwald, Gerhard Fechner, Clara Werkmeister, Charlotte Kulemann-Haesner) sowie der Familie Lippisch selbst. 

Nr. 1: Dipl.-Ing. Leonid Adelmann, Verlobter von Adele Reuther. Nr. 26: Bankiersehepaar Meyer aus Berlin-Wilmersdorf, vermutlich Erstbesitzer der Villa Deus in Jamlitz, Freunde der Familien Lippisch, Kühne und Adelmann-Reuther-Schröder. (Privatarchiv)

Gut gefiel es bei Paeprer nämlich auch dem Vater der Reuther-Schwestern, dem Kaufmann Oscar Reuther (9 Einträge zwischen 1906 und 1927), und ihrem gleichnamigen Bruder (3 Einträge zwischen 1909 und 1926), der sich beim ersten Jamlitz-Besuch als „Dipl. Ing. Oscar Reuther aus Babylon“ ins Gästebuch eintrug. Als Grabungsarchitekt pendelte er 1905 bis 1912 zwischen Berlin und Babylon und wurde 1909 in Dresden über Das Wohnhaus in Bagdad und in anderen Städten des Irak promoviert. Er ist einer der Protagonisten im SPIEGEL-Bestseller Babel von Kenah Cusanit.

Nachbarschaften

In Berlin wohnten die Adelmanns, Reuthers und Schröders seit 1910 allesamt im neuen Haus von Oscar Reuther senior in der Denkstraße 5 in Südende. Hier kommt nun wieder Walter Trier ins Spiel. Denn von 1917 bis 1925 wohnte auch er mit seiner Familie in der Denkstraße 5 – vermutlich als Nachmieter der Familie Adelmann, die 1916 nach Kiel zog –, bevor er ein eigenes Haus in Lichterfelde erwarb. Die Triers waren also langjährige Nachbarn des „Reuther-Clans“.

Das Haus von Oscar Reuther senior in der Denkstraße 5 in Berlin-Südende, erbaut 1910, im Zweiten Weltkrieg zerstört. Hier wohnten die miteinander verschwisterten und verschwägerten Familien Adelmann, Reuther und Schröder sowie von 1917 bis 1925 auch Walter Trier mit Familie. (© Nachlass Olga Adelmann, Musikinstrumenten-Museum im Staatlichen Institut für Musikforschung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin)

Ob sich dies zufällig so ergeben hatte oder sie sich vielleicht schon vorher kennengelernt hatten, zum Beispiel in Künstlerkreisen, ist unbekannt. Auf jeden Fall sind solche Konstellationen typisch für Paeprers Gästebuch. Es bildet Familien-, Nachbarschafts-, Freundes- und Bekanntenkreise ab, die überwiegend im großbürgerlichen Berliner Westen zu verorten sind. Teilweise überschneiden sich diese Kreise oder wurden in Jamlitz noch erweitert.

Gästebuch von Paeprers Gasthaus „Zum kühlen Grund“,  (Privatarchiv)

rechts Einträge von Anfang 1913. Nr. 2: Schwestern Ella Schröder und Adele „Ada“ Adelmann sowie deren Vater, Kaufmann Oscar Reuther, aus der Denkstraße 5 in Berlin-Südende. Nr. 6, 7, 8: Architekt Paul Schröder mit Kindern, nochmals Kaufmann Oscar Reuther und dessen Sohn Dr. Ing. Oscar Reuther, der Grabungsarchitekt von Babylon (Bruder von Ella Schröder und Ada Adelmann). Nr. 1: Bankiersehepaar Meyer aus Berlin-Wilmersdorf.

Wer wann mit wem zuerst in Kontakt kam, kann und muss sich nach so langer Zeit nicht immer haarklein rekonstruieren lassen. Sicher ist, dass Franz Lippisch seit der ersten Fahrt seiner Malschule um 1902 die Jamlitz-Begeisterung vieler neuer Gäste geweckt hat. Dies kam dem „Kühlen Grund“, aber auch Jamlitzer Familien wie Günther und Krägenbring oder der Witwe des Glashüttenbesitzers Dr. Martin zugute, die Feriengäste aufnahmen.

Boccia am „Schilfhaus“

Warum Walter Trier 1927 – und nicht schon früher – im Gästebuch des „Kühlen Grundes“ erscheint, ist nicht bekannt. Seine Frau ist zwischen Mai und Juni 1928 nochmals verzeichnet. Vielleicht ergab sich erst jetzt, wo sie nicht mehr direkte Wohnungsnachbarn waren, Anlass, sich für gemeinsame Freizeitgestaltung zu verabreden.

Dafür stand in Jamlitz seit um 1920 auch das kleine reetgedeckte „Schilfhaus“ zur Verfügung, das sich Paul Schröder unweit Walter Kühnes Anwesen am östlichen Ortsausgang als Wochenendhaus erbaute und wohin er sich nach der Zerstörung seiner Berliner Wohnung 1945 ganz zurückzog. Als Ortsansässiger ist er somit auch zur Jamlitzer Künstlerkolonie zu rechnen.

Walter Trier hat sich nicht nur in Paeprers, sondern auch in Paul Schröders Jamlitzer Gästebuch verewigt. Auf dem nur in einer Kopie bekannten Blatt zeichnete er das ländliche Freizeitvergnügen mit Bowle, Boccia, Tango, Jagd und wagemutigen Sprüngen übers Johannisfeuer. Laut Familienüberlieferung hat Walter Kühnes Tochter Maria Seiffert, genannt „Lauchen“, in den 1920er Jahren in Berlin mit Walter Trier geschwoft, vielleicht ist sie ja mit auf dem Bild.

Eintrag von Walter Trier im Jamlitzer Gästebuch von Paul Schröder, 1920er Jahre
(Kopie in Privatbesitz / © The Estate of Walter Trier, Vancouver, Canada)

Rechts oben kommt wieder das Auto aus der Großstadt angerauscht, diesmal eine vollbesetzte Limousine. Rechts unten ist Paul Schröders „Schilfhaus“ dargestellt (heute verändert). Typisch für Jamlitz: die allgegenwärtigen Mücken, die Pfifferlinge, die Krebse und Fische. Auf dem Foto in der Mitte sind vorn Walter Trier und neben ihm ein unbekannter Herr beim Bocciaspiel zu sehen, einem in Schröders Freundeskreis besonders gern betriebenen Sport.

Paul Schröder als Architekt

Als Architekt plante Paul Schröder in Jamlitz unter anderem 1909 die im „Reformstil“ gehaltene Villa des Berliner Bankierehepaars Meyer (heute Villa Dëus), 1911 den Ausbau des „Kühlen Grundes“ (2020 abgerissen), 1915 den Umbau des Lippisch-Hofs als Wohn- und Atelierhaus und 1919 die Villa von Bildhauer Ernst Müller-Braunschweig (1928 abgebrannt). Für den Grafen von der Schulenburg plante er 1915 den Umbau des Eiskellers der Brauerei zu Arbeiterwohnungen und Stallungen.

In Berlin hat Paul Schröder laut Denkmalliste 1905 zwei Jugendstil-Mietshäuser in Friedenau entworfen (Ecke Wiesbadener Straße 83/Rotdornstraße 1) und 1910 den neoklassizistischen Umbau des Hauses Sommer für die Deutsche Hypothekenbank geplant (Dorotheenstraße 99, heute Teil des Jakob-Kaiser-Hauses des Deutschen Bundestags). Franz Lippisch schuf dafür ein allegorisches Wandbild Gaben des Friedens (nicht erhalten).

Die Geschäfte liefen für Paul Schröder Mitte der 1920er Jahre anscheinend so gut, dass er sich ein Anwesen in Bad Saarow am Scharmützelsee leisten konnte, wo er 1928 ein Sommerhaus errichtete (Silberberger Chaussee 73). Ab 1937 war es im Besitz des Schlager- und Filmkomponisten Leo Leux.

Das überraschendste Bauwerk von Paul Schröder entstand 1928/29 und führt zurück zum Thema Auto. Zusammen mit Max Pohl plante er die älteste erhaltene Tankstelle Berlins, zugleich die erste mit angeschlossener Raststätte und Reparaturwerkstatt. Das sanft geschwungene, zweistöckige weiße Gebäude im Bauhausstil auf der Lohmühleninsel in Kreuzberg an der Grenze zum Bezirk Treptow-Köpenick steht unter Denkmalschutz. Wie auch die Jamlitzer Gästebucheinträge von Walter Trier ist es ein Zeugnis der Zunahme des privaten Autoverkehrs in den 1920er Jahren.

Älteste erhaltene Berliner Tankstelle, erbaut 1928/29 von Paul Schröder und Max Pohl auf der
Lohmühleninsel. Das „Anhalt“ im denkmalgeschützten ehemaligen Raststättengebäude mit Dachterrasse kann für Veranstaltungen gemietet werden (Foto: Lienhard Schulz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons).

Paul Schröder zeigt sich in den bisher bekannten Quellen als ein vielseitiger, wandelbarer Architekt, der seinen Stil entsprechend der jeweiligen Bauaufgabe wählte und dabei aktuelle Trends aufgriff. Die Recherchen zu seinem Leben und Werk werden fortgesetzt.