Erich Seiffert

1898-1944


WERKSCHAU

Erich Seiffert ist vor allem für seine ab 1936 in Jamlitz entstandenen altmeisterlichen Kupferstiche heimischer Pflanzen und Tiere bekannt. Als Maler und Grafiker arbeitete er zuvor in anderem Stil und an anderen Sujets: geometrisch-abstrakte Stillleben, expressionistische Stadtansichten. Er ist damit der einzige Jamlitzer Künstler, dessen Werk eine genuine „Jamlitzer“ Phase aufweist. Wegen der kriegsbedingt lückenhaften Überlieferung bleibt das Profil des zuvor entstandenen Werkes blass. Das Tätigkeitsfeld des Künstler-Handwerkers reichte vom Bau von Holzhäusern bis zur Aquarellmalerei.

Erich Seiffert:
Auszug eines Rechnungsbogens aus der Zeit als Architekt in Schwiebus
(Privatarchiv)

Arbeiten als Architekt in Schwiebus und Berlin

Von Erich Seifferts Tätigkeit als Architekt ist kaum etwas überliefert. Fotos von Wochenend-Holzhäuschen im Bauhausstil, die offenbar in verschiedenen Ausführungen oder als Fertigbaumodule von einer Schwiebuser Firma produziert wurden, sind die einzigen Spuren.

Architekt Erich Seiffert (rechts)
mit Kunden vor einem von ihm entworfenen Wochenendhäuschen aus Holz,
1920er Jahre
(Privatarchiv)

Dieses modern wirkende Häuschen könnte auch in einem Schrebergarten in heutiger Zeit seinen Platz finden. Welche Firma in Schwiebus die von Erich Seiffert entworfenen Holzhäuser produzierte, ist unbekannt. Sie wurden möglicherweise auf der Ostmarkschau für Gewerbe und Landwirtschaft OGELA 1924 in Frankfurt (Oder) präsentiert, vielleicht sind für diesen Anlass auch die Fotos gemacht worden.

Ob vielleicht eine Verbindung zu dem drei Jahre jüngeren Konrad Wachsmann aus Frankfurt (Oder) bestand, einem Pionier des industriellen Bauens, der z.B. 1929 das Wochenend-Holzhaus von Albert Einstein in Caputh in Fertigbauweise errichtete? Ab 1926 arbeitete Wachsmann für Christoph & Unmack in Niesky/Oberlausitz, eine in Europa führende Firma für Holzfertigbau. Die Branche profitierte von militärischem Bedarf (Baracken), steigenden Freizeitbedürfnissen (Wochenendhäuschen) und der Wohnungsnot der 1920er Jahre, die den schnellen Bau billigen Wohnraums erforderlich machte. Auch Bauhaus-Architekten wie Walter Gropius entwarfen Holzfertighäuser. Erich Seiffert war mit seinen Entwürfen also auf der Höhe der Zeit.

Von seiner Tätigkeit als Innenarchitekt sind ebenfalls kaum Zeugnisse erhalten. In Berlin entwarf er Anfang der 1930er Jahre Schiffsinnenausrüstungen für Jordan & Hartmann und arbeitete als Leserbriefredakteur für eine Zeitschrift unbekannten Namens, die sich auch mit Wohnfragen beschäftigte. Vielleicht entstand hierfür dieser Grundriss einer modernen möblierten Kleinwohnung.

Erich Seiffert:
Innenraumentwurf,
undatiert
(um 1934/35),
Tusche und Aquarell,
19,5 x 17,5 cm
(Privatbesitz)

Die weißen Retuschen weisen darauf hin, dass diese Zeichnung für eine gedruckte Veröffentlichung gedacht war – vielleicht in der Zeitschrift, für die Erich Seiffert „Leserzuschriften“ zu Fragen modernen Wohnens beantwortete? Leider ist die Legende zu den eingetragenen Nummern nicht erhalten, deshalb ist unklar, ob Erich Seiffert die Möbel selbst entworfen hat oder ob er Produkte anderer Innenausstatter empfiehlt. Jedenfalls wirkt auch diese Wohnung heute noch sehr modern.

Arbeiten als Maler und Grafiker in Berlin

Auch als Maler und Grafiker folgt Erich Seiffert zunächst zeitgenössischen, modernen Tendenzen: Expressionismus und Bauhaus. Sein Freund Hans Steinborn schreibt in seinen Memoiren (S. 129f.) über den „frühen“ Erich Seiffert:

Die damals noch sehr gegenwärtigen Ausstrahlungen des Expressionismus und des Bauhauses rissen ihn mit sich und fand[en] ihn lange Zeit in ihrem Fahrwasser. Seine in damaliger Zeit blühende Neigung zum Radikalismus ging so weit, dass er alle auf gemütsanregende Stimmungswerte auslaufende Kunstbetrachtung schon allein deshalb als ‚Kitsch‘ abtat. Zum Beispiel auch die bezauberndsten Sonnenuntergänge, die mich am Himmel begeistern konnten. Mich, der ich ja meine Beziehung zur Kunst auf Gefühlswerten zu gründen begann, empörte solch ein Extremismus schon damals tief, was aber nicht ausschloss, dass wir beide durch unsere gemeinsame Beziehung zur Malerei überhaupt dennoch innige Freunde wurden und es bis zu seinem frühen Tode auch blieben.“

Allerdings sind von den Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre entstandenen Werken Erich Seifferts nur einige Stillleben sowie Skizzen von Landschaften und Stadtansichten erhalten.

Stillleben

Das Genre des Stilllebens – Darstellungen unbewegter, nach ästhetischen oder symbolischen Gesichtspunkten angeordneter Gegenstände – wird schon bei Paul Cézanne, dann bei den Kubisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Feld von Farb- und Formexperimenten bis hin zur Abkehr von der illusionistischen Wirklichkeitsdarstellung. Neue Techniken wie die Collage werden erprobt. Materialität und Struktur der Dinge, ihr Verhältnis untereinander und zu ihrem Umraum, und damit das Verhältnis des Künstlers zur Objektwelt, werden erkundet und neu definiert.

Auch Erich Seiffert erprobt in seinen Stillleben den Verzicht auf den perspektivischen Tiefenraum zugunsten eines fast abstrakten, flächigen Arrangements von Formen und reinen Farben.

Landschaften und Stadtansichten

Laut den Erinnerungen seines 1935 geborenen ältesten Sohnes Christian malte Erich Seiffert expressionistische Landschaften in Öl, darunter eine Industrielandschaft im Ruhrgebiet, wo er sich eine Zeitlang aufgehalten haben soll (1945 zerstört). Unter den erhaltenen Skizzen in Tusche, Aquarell und anderen Techniken findet sich u.a. die Zeichnung einer Parkansicht in Duisburg von 1932, die eine flirrende, fast nervös wirkende grafische Struktur aufweist. Ein Motiv aus Berlin-Tiergarten erinnert an Edvard Munchs Gemälde Mädchen auf der Brücke. Auch im Genre des Landschaftsbildes scheint Erich Seiffert also mit verschiedenen Stilen zu experimentieren.

Arbeiten als Maler und Kupferstecher in Jamlitz

Mit dem Umzug nach Jamlitz 1935 wird Erich Seifferts Formensprache konventioneller und gegenständlicher. Er muss nun eine Familie ernähren und auf Verkäuflichkeit achten; auch politisch ist es nicht opportun, im Stil der von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemten Moderne zu arbeiten. Seine Landschaftsaquarelle und
-zeichnungen sind aber weiterhin eher skizzenhaft-expressiv, und die in Jamlitz entstehenden Kupferstiche entziehen sich durch ihre sachliche Naturtreue ebenfalls einer auf „gemütsanregende Stimmungswerte auslaufenden Kunstbetrachtung“, wie sein Freund Hans Steinborn sie vielleicht bevorzugt hätte.

Tuschezeichnungen und Aquarelle

In den unaufwendigen Techniken der Tuschezeichnung und des Aquarells nähert sich Erich Seiffert der neuen, ländlichen Umgebung an. Eine besondere motivische Vorliebe zeigt der Architekt, Maler und nun auch Gärtner für die Pflanzenwelt – und für die dorftypischen Gartenzäune. Für seine Kinder illustriert er selbstverfasste Bilderbücher.

Kupferstiche

Angeregt durch seinen Schwiegervater Walter Kühne und die in der Jamlitzer Werkstatt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, verlegt sich Erich Seiffert ab 1936 auf die anspruchsvolle traditionelle Technik des Kupferstichs. Bis Ende 1942 entstehen 45 Stiche, fast alle sorgfältig nummeriert, überwiegend mit Naturmotiven und in steigender, bald altmeisterlicher Perfektion. Wie Walter Kühne überliefert, soll Erich Seiffert ohne Vorzeichnung direkt auf der Kupferplatte gearbeitet haben.
Zusätzlichen Reiz erhalten seine Arbeiten durch die Koloration. Sie erfolgt per Hand, ansatzweise automatisiert durch einen selbst konstruierten Schienenwagen. Damit können fünf Blätter gleichzeitig in derselben Farbe koloriert werden, ohne zwischendurch den Pinsel reinigen zu müssen.

Pflanzen- und Tierportraits

Es ist unbekannt, wer Erich Seiffert dazu anregte, die Pflanzen- und Tierwelt als Bildmotiv zu wählen. Walter Kühne – oder Rudolf Grunemann, Sohn eines Biologen? Rudolf Grunemann kommt etwa zur selben Zeit wie Erich Seiffert nach Jamlitz und plant 1936 die Veröffentlichung eines Text- und Fotobuches über heimische Blumen.

Für Erich Seiffert spielen außer der eigenen Leidenschaft fürs Gärtnern vielleicht auch pragmatische Erwägungen eine Rolle: Porträts heimischer Flora und Fauna sind beliebt als „heimatverbundene“ Kunst. Dass diese auch von den Nationalsozialisten erwünscht ist, dürfte für den Freund der KPD eher ein günstiger Nebeneffekt als ein planvoll verfolgtes Ziel gewesen sein. Er profitiert auch von der Ateliergemeinschaft mit Walter Kühne, der regionale Landschafts- und Stadtansichten verkauft. Beide schanzen sich gegenseitig die Kundschaft zu.

Kunsthistorisch steht Erich Seiffert in der Tradition des Blumenbildes und der botanischen Illustration. Seine Stiche sind jedoch streng genommen keine „Illustrationen“, zum Beispiel im Kontext von Pflanzenbüchern, sondern als selbstständige Kunstwerke zu verstehen.

Die Reihe beginnt im Frühjahr 1936 mit Narzissen, es folgen verschiedene Frühlings-und Sommerblumen und eine Libelle (erste Tierstudie), abschließend Zinnie und Äpfel. In den Folgejahren entstehen jahreszeitenbegleitend immer komplexere Pflanzenporträts. Ab 1939 sind manche Stiche mit wissenschaftlichen Bezeichnungen versehen. Ob dies möglicherweise im Zusammenhang mit einer vorgesehenen Publikation geschah, ist unbekannt. Die Oderzeitung vom 16. Januar 1940 erwähnt „medizinische Kreise, die ihn beauftragten, zu einem Atlas unserer heimischen Heilpflanzen die Platten zu stechen“.

Architekturdarstellungen

Zu den bekanntesten Arbeiten von Erich Seiffert gehören zwei Darstellungen bedeutender Architekturen im alten Frankfurt (Oder). Beide Gebäude – Rathaus und Stadttheater – wurden bei Kriegsende 1945 zerstört. Insofern sind Erich Seifferts Stiche nicht nur wegen ihrer künstlerischen Qualität, sondern auch als historische Dokumente von großem Wert.

Würdigung durch Walter Kühne

Nach dem Kriegstod von Erich Seiffert am 10. März 1944 würdigt Dr. Walter Kühne seinen Schwiegersohn als Künstler und Persönlichkeit in einem Brief vom 2. Juni 1944 an seinen Schweizer Cousin Georg Kühne, einen Kunstsammler:

„Wir sind hier sehr traurig, denn es wurde uns gemeldet, dass unser Erich […] gefallen ist. […] Seine letzten Kupferstiche sind kleine Meisterwerke, die sich denen der Alten Deutschen Meister würdig zur Seite stellen. Dieser im Leben so aufgeregte, lebendige, stets tätige Mensch hatte beim Kupferstechen diese fabelhafte Konzentration und Ruhe, die ich sonst nie in modernen Stichen gesehen habe. Er stach direkt mit dem Stichel nach der Natur in die Platte. Ich habe das Entstehen aller seiner 42 [tatsächlich: 45] Stiche miterlebt. Es war ein grosses Glück für mich, und nun habe ich diesen treuen Freund, der mal mein Erbe sein sollte und der ein geschickter Mitarbeiter und Berater war, verloren. Bin sehr traurig und kann mich nicht wieder zurechtfinden. Ein bisschen glücklich bin ich mit den drei Enkeln: 1, 6 u. 9 Jahre, alle prächtig entwickelt […]; aber diesen Vater, der mit den Kindern so glücklich spielte, so liebevoll, wie ich es noch nie erlebt habe, kann ich ihnen nicht ersetzen.“

Die im 15. Jahrhundert aus dem Goldschmiedehandwerk entwickelte Technik des Kupferstichs ist ein Tiefdruckverfahren. Auf einer nicht zu starken, vollkommen gleichmäßig dicken, polierten Kupferplatte werden mit einem etwa 10 Zentimeter langen Grabstichel Linien und Punkte eingeschnitten. Dafür wird die Platte auf ein sandgefülltes Lederkissen gelegt, um sie drehend und wendend dem Stichel in der Arbeitshand entgegendrücken zu können.

Um eine Vorzeichnung auf den Kupferstich zu übertragen, wird die Kupferplatte mit einer Firnis- oder Wachsschicht überzogen und mit Kreide oder Kohle eingefärbt. Darauf wird die Zeichnung seitenverkehrt übertragen und anschließend Linie für Linie in das Metall eingeschnitten.

Die rautenförmige Spitze des Stichels gräbt das Metall wie ein Pflug heraus, sodass sich Späne aufrollen. Ansatz und Auslauf einer Linie sind haarfein und spitz, zwischendurch schwillt die Linie an. Diesen Verlauf nennt man Taille. Bei der Radierung ist die Linienbreite hingegen gleichmäßig.

Helligkeits- und Dunkelheitswerte ergeben sich durch Breite und Tiefe der Linien und ihre Anordnung in Parallelzügen und – ggf. verdoppelten – Kreuzlagen. Die Technik macht es erforderlich, die Linie in klaren Zügen einzugraben. Sie gilt daher als besonders schwierig.

Zum Drucken wird die Platte mit Druckerschwärze eingerieben und anschließend „ausgewischt“. Die in den vertieften Linien verbleibende Farbe ergibt die Darstellung. Gedruckt wird mit zwei übereinanderliegenden Walzen auf angefeuchtetem Papier. Da sich die Kupferplatte bei jedem Druckvorgang abnutzt und die Qualität des Ergebnisses sinkt, werden die Platten manchmal nach den ersten Drucken galvanisiert (verstählt). Ein Nachteil ist die geringere Feinheit.

Quelle:

  • Koschatzky 1975, S. 96

Seit der Renaissance werden Pflanzen nicht mehr nur wegen ihrer medizinischen oder symbolischen Bedeutung dargestellt, sondern auch aus ästhetischem und systematisch-naturwissenschaftlichem Interesse. Oft sind Insekten und Kleingetier in die Darstellung integriert. Zu nennen sind u.a. Aquarelle von Albrecht Dürer sowie als Beispiele aus der Druckgraphik

  • die kolorierten Kupferstiche im Hortus Eystettensis (1613) und den Büchern von Maria Sybilla Merian, die die Symbiose von Schmetterlingen und Pflanzen veranschaulichen;
  • die Blumenbücher von Pierre Joseph Redouté, um 1800;
  • die „Kunstformen der Natur“ des Darwinisten Ernst Haeckel, um 1900 (sein Sohn Walter war Schüler von Franz Lippisch, teilte 1901 das Atelier mit Walter Kühne);
  • in den 1930er Jahren populäre Bücher wie Das kleine Blumenbuch mit Holzschnitten nach Zeichnungen von Rudolf Koch, eines der beliebtesten Bändchen der Insel-Bücherei (Nr. 281).

Erich Seifferts Naturdarstellungen weisen Berührungspunkte mit den genannten Werken auf, sind im Unterschied dazu aber keine Reproduktionen, sondern Originalstiche, also selbstständige Kunstwerke.

Eine Verwendung z.B. in botanischen Bestimmungsbüchern hätte wohl eine andere Darstellungsweise erfordert: systematische Detailabbildung von Blütenstruktur, Aufbau des Fruchtknotens und der Frucht sowie des gesamten Lebenszyklus der Pflanze. Erich Seifferts Stiche sind zwar höchst naturgetreu und zeigen manchmal ganze Biotop-Ausschnitte, zielen aber trotzdem eher auf künstlerische Wirkung ab. Nichtsdestotrotz hat er auch für eine Gartenzeitschrift und eventuell für einen Atlas heimischer Heilpflanzen Stiche gestaltet.

Quellen:

  • Artikel „Blumenbild“ in Kindlers Malerei-Lexikon, Bd. 6 (Zürich 1971), S. 167
  • Artikel „Pflanzenbuch“ und „Pflanzendarstellung“ im Lexikon der Kunst, Bd. 5 (München 1996), S. 556–560 und 560–562.